Pushpak Ramayana Buch 1Zurück WeiterNews

Canto 2 - Besuch Brahmas

Valmiki fühlte sich durch den würdevollen Sprecher zu höchster Bewunderung angeregt. Erst zollte er dem Helden der Geschichte seine geistige Verehrung, und dann verneigte er sich demütig mit all seinen Schülern vor dem höchst redegewandten Heiligen (Narada). So verehrt entließ der heilige Seher die Schar und entschwand in seine himmlischen Sphären.

Valmiki verließ seine einfache Hütte für die stillen Ufer der Tamasa, nicht weit entfernt von den Wassern der Ganga. Er stand und schaute, wie die kleinen Wellen sich über dem klaren Kieselstrand kräuselten. Sich zu Bharadvaja an seiner Seite wendend sprach er freudig erregt: "Sieh nur, lieber Schüler, diesen lieblichen Anblick. Der glatte Grund, ganz rein und hell, ohne störenden Fleck oder Schatten, und so klar, wie das Herz eines guten Menschen. Ich bitte dich, stell deinen Krug beiseite und bring mir meinen Gürtel aus Bast. Hier will ich ein Bad nehmen, das Bächlein bietet keinen schöneren Platz, darin die Glieder zu laben. Komm meiner Bitte gleich nach, verweile nicht, die kostbare Zeit zu vergeuden, schnell, beeil dich." Der Schüler folgte gehorsam seines Meisters Wünschen und brachte eilends die Sachen aus der Hütte. Der Einsiedler nahm sie, gürtete sich und tauchte in die Wasser, ordnungsgemäß all die geheimen Gebete murmelnd. Den Geistern und Göttern opferte er die Wasser des Stromes, und ließ sich dann treiben mit Blick auf die dunklen Wälder, die sich tief und weit zu beiden Seiten erstreckten. Dicht an der Sandbank erblickte er ein Brachvogelpärchen, das sich furchtlos tummelte. Doch plötzlich näherte sich ein Vogelfänger mit bösem Sinn, und mit sicherem Ziel erschoß er das Männchen ganz in der Nähe des Einsiedlers. Die verwirrte Henne flatterte verzweifelt umher und schrie laut und grell, als sie ihren geliebten Gefährten am Boden liegen sah, zitternd, tot und die Flügel von Blut rot gefärbt. Sie klagte um ihren Lebensgefährten mit der goldenen Haube und war untröstlich.

Valmiki sah den getöteten Vogel, und sein Herz war von Mitleid bewegt. Des Jägers respektlose Tat empörte seine sanft mitfühlende Brust. Und während des Brachvogels trauriger Gesang in seinen Ohren klang, flossen folgende Worte von seinen Lippen:

"Kein Ruhm sei dir, du niederträchtiger Jäger, in endloser Zeit je beschieden, da du schwach genug warst, mit grausamer Hand einen der beiden edel spielenden Vögel zu töten."

Doch kaum ausgesprochen, da wunderte sich Valmiki über die vollkommene Rede, die in seinem bedrückten Herzen entstanden war. Lange dachte er über seine Worte nach, wiederholte und maß jedes Wort, um endlich zu Bharadvaja an seiner Seite zu sprechen: "Ich sprach mit Gleichmaß und Rhythmus, in vollkommener Zeit und Betonung. Dieser Vers soll Sloka genannt werden, da er in tiefer Trauer (soka) zu mir kam." Und Bharadvaja zögerte nicht, seine Liebe und sein Vertrauen zu zeigen, indem er voller Weisheit antwortete: "Der Name sei, wie du es wünschst, mein Herr." Nach altem Brauch schöpfte Valmiki etwas Weihwasser aus dem Bach. Doch als sie ihre Schritte heimwärts wandten, brütete der Einsiedler immer weiter darüber nach, während sein Schüler Bharadvaja in seiner schlichteren Art mit einem Krug frischen Wassers hinter ihm dreintrottete. Kaum zu Hause angekommen, setzte sich der heilige Valmiki nieder, um seinen Geist von weltlichen Sorgen zurückzuziehen und tiefsten Gedanken nachzusinnen. Da kam Brahma zur Einsiedelei des Valmiki, dieser Höchste unter den Herren, der Schöpfer von Himmel und Erde und vierhäuptige Gott, um den Heiligen zu besuchen. Sobald Valmiki des Brahma gewahr wurde, erhob er sich mit Respekt und Bewunderung. Stumm stand er vor ihm, die Hände vor der Brust gefaltet, den Kopf geneigt und grüßte demütig seinen ehrenvollen Gast, der ihn nach seinem Wohlbefinden fragte. Dann brachte Valmiki Wasser für Brahmas gesegnete Füße, reichte ihm Arghya dar und bereitete einen Sitz. Brahma akzeptierte all die Gaben, nahm den Ehrenplatz ein und bat den Einsiedler an seine Seite. Da saß vor Valmikis Augen der Vater aller Himmel und der Erde, doch er konnte einfach nicht aufhören, an das traurige Schicksal des Brachvogels zu denken und ganz abwesend murmelte er noch einmal den Vers, der seine Trauer ausdrückte: "Schande über des Jägers gottlose Hand, die ausführte, was Torheit ersann, und die den Brachvogel mit klangvoller Kehle dem sinnlosen Tode weihte."

Der himmlische Vater lächelte freudig und sprach: "Oh bester aller Einsiedler, unbewußt hast du diesen Vers vollbracht. Deine Aufgabe sei nun nicht länger aufgeschoben. Suche nicht mit unsinniger Anstrengung die unabsichtliche Weise. Die klangvollen Zeilen von deinen Lippen kamen spontan aus deinem Innern. Komm Bester, und erzähle das große und gute Leben Ramas, die Geschichte, die dir Narada gab, und zwar in ganzer prächtiger Länge. Sprich über all seine Taten auf dieser Erde, laß keine aus, und berichte damit über das noble Leben dieses weisen, mutigen und tugendhaften Herrn. Zeige jede Handlung; denn um das geheime Leben soll niemand betrogen werden: wie Lakshmana, wie die Dämonen fochten mit hohem Ziel und verborgenen Gedanken, was alles Janaks Tochter (Sita) geschah, was jeder sehen und niemand aussprechen konnte... All dies, du Heiliger, soll dir wahrhaft kundgetan werden. Durch meine Gnade soll sich in deinem Gedicht kein Körnchen Unwahrheit einschleichen. Beginne die göttliche Geschichte und bringe sie mit bezaubernden Versen zu Gehör. So lange, wie in diesem festgefügten Land die Flüsse fließen und die Berge bestehen bleiben, so lange soll das Ramayana in aller Welt Bestand haben. Und während des Ramayanas alte Weise in der Welt strahlend verweilt, sollst du zu höheren Sphären aufsteigen und mit mir über den Himmeln sein."

Sprach’s und löste sich in Luft auf, den Valmiki staunend zurücklassend. Die Schüler des heiligen Mannes begannen sogleich, aus Liebe zu ihrem Meister, den Vers wieder und wieder zu singen und sich mehr und mehr zu wundern: "Seht, wie der vierzeilige ausbalancierte Reim, viele Male wiederholt, aus der Trauer des Eremiten entstand und zum Sloka ward." Und Valmiki wählte dieses ebenmäßige Maß, um in hunderten lieblichen Versen die Geschichte von Ramas heldenhaften Taten mit erhabener Seele zu erzählen.



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